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Münchner Klimaherbst 2023 – Klimagerechtigkeit

Der Münchner Klimaherbst 2023 widmet sich dem Thema Klimagerechtigkeit. Hier findet ihr das Klimaherbst.MAGAZIN inklusive des Veranstaltungsprogramms. Hier kommt ihr zum Online-Kalender.


Fair enough?! Über Klima und Gerechtigkeit

Beim diesjährigen Klimaherbst-Thema “Klimagerechtigkeit” ist es wichtig, insbesondere den Gerechtigkeitsaspekt dieses Themas nicht aus dem Auge zu verlieren. Es geht also im Fokus nicht darum uns zu fragen, wie wir bestmöglichen Klimaschutz hier und an anderen Orten auf der Welt umsetzen (auch wenn das mittelbar natürlich zu mehr Klimagerechtigkeit beiträgt). Vielmehr geht es darum, Fragen nach der Verteilung von Kosten und Lasten, aber auch Gewinnen und Vorteilen durch Klimawandel und Klimaschutz zu stellen, aktuell, zukünftig und historisch, lokal und global. Und natürlich auch die Frage danach zu stellen, wie wir diese Kosten, Lasten, Gewinne und Vorteile gerecht aufteilen können, sodass jede:r individuell, genauso wie Organisationen und staatliche Gemeinschaften im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit und gemäß ihrer (historischen) Verantwortung be- und entlastet werden. Folgende Leitfragen stehen dabei im Zentrum:

  • Wer ist verantwortlich für die Klimakrise?
  • Wer ist betroffen von der Klimakrise?
  • Wer kann sich schützen vor der Klimakrise?
  • Wer kann politisch mitgestalten?

Klimakrise – eine Frage der Gerechtigkeit?

Die gängige Erzählung über den Klimawandel geht meistens so: Mit dem Beginn der Industrialisierung haben wir Menschen angefangen, immer mehr Treibhausgase in die Atmosphäre auszustoßen. Diese immer größer werdende Menge an Treibhausgasen in der Atmosphäre verursacht eine erdgeschichtlich gesehen sehr schnelle Erhitzung unseres Planeten und führt zu vielen Problemen: u.a. vermehrte Extremwetterereignisse wie Tropenstürme, Starkregen oder Dürren, steigende Meeresspiegel, Verlust von fruchtbaren Böden. Deshalb müssen wir Menschen uns anstrengen, um den menschengemachten Klimawandel einzudämmen und die verheerenden Auswirkungen möglichst gering zu halten. Dies schaffen wir durch den Umbau unserer Wirtschaft, insbesondere unseres Energiesystems und einem nachhaltigeren Lebensstil auf individueller Ebene.

Die Ursachen und Lösung der Klimakrise klingen in dieser Erzählung erst mal recht einfach oder zumindest offensichtlich – so einfach ist es aber leider nicht. Diese Erklärung versteckt die Komplexität des Problems, und zwar nicht nur auf physikalischer, sondern insbesondere auch auf gesellschaftlicher Ebene, und verdeckt so ein zentrales Problem bei der Lösung der Klimakrise: (Un-)Gerechtigkeit. Denn diese Erzählung suggeriert, dass wir alle gleichermaßen Verursacher:innen der Klimakrise sind und uns entsprechend  alle gleichermaßen anstrengen müssen, um diese einzudämmen. Sie verschleiert, wie unterschiedlich Menschen und Natur von ihren Auswirkungen betroffen sind. Sie übersieht auch die unterschiedlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten von Menschen, Gesellschaften und unserer natürlichen Umwelt mit den Folgen der Klimakrise umzugehen.

Die (komplette) Geschichte hinter der Klimakrise

Schon als die Menschheit angefangen hat vermehrt Treibhausgase auszustoßen, waren bei weitem nicht alle Menschen weltweit dafür verantwortlich. Die Verschmutzung der Natur und natürlichen Ressourcen gingen damals wie heute mit der Ausbeutung von Menschen aus dem globalen Süden sowie anderer vulnerabler und marginalisierter Gruppen, wie bspw. BIPoC (Schwarze, Indigene und People of Color, also nicht-Weiße Menschen) einher. Industrialisierung und Kolonialismus gingen dabei Hand in Hand. Dieser Ausbeutung verdanken wir unseren  materiellen Wohlstand bzw. Luxus, sowie unsere relative Sicherheit. Unsere Verantwortung ist also nicht zu unterschätzen: Jede:r Deutsche trägt historisch gesehen eine Treibhausgaslast mit sich herum, die ca. 40-Mal so hoch ist, wie die eine:r Inder:in und immerhin noch sechsmal so hoch, wie die eine:r Chines:in. Die ärmsten 50% der Weltbevölkerung sind heute für nur 10% des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich, während die Reichsten 10% einen Anteil von 49% verursachen. Und viele der Emissionen, die heute in Ländern des globalen Südens entstehen und immer noch wesentlich geringer sind als die des globalen Nordens, hängen wiederum mit der Produktion von Gütern für den globalen Norden zusammen.

Gleichzeitig leiden Menschen des globalen Südens deutlich stärker unter den Folgen der Klimakrise. Zum Beispiel sind die drei Länder, die laut Klima-Risiko-Index von Germanwatch in den letzten 20 Jahren am stärksten unter von der Erderhitzung bedingten Wetterextremen gelitten haben, Puerto Rico, Myanmar und Haiti. Andererseits hat es auch mit ungleichen Voraussetzungen zu tun: arme Länder können sich schlechter gegen die vermehrt auftretenden Naturkatastrophen und andere Folgen der Klimakrise schützen als reiche: sie haben nicht die Ressourcen, um Deiche gegen steigende Meeresspiegel zu bauen, sie können die Lebensmittel nicht zukaufen, die bei Ernteausfällen durch Dürren im eigenen Land fehlen, sie können keine adäquaten Vorkehrungen gegen immer häufiger auftretende Wirbelstürme treffen und ihre Bevölkerung im Angesicht solcher Katastrophen auch nur bedingt unterstützen. Armut verstärkt diesen Betroffenheitseffekt auch für einzelne: Arme Menschen können sich schlechter gegen vermehrt auftretende Extremwetterereignisse schützen als reiche: sie wohnen weltweit in schlechteren Behausungen und unsicheren Gegenden und sind damit nicht gegen Überflutungen oder Hitzewellen geschützt. Sie verlieren meist als Erste ihre Lebensgrundlage, weil sie beispielsweise von Subsistenzwirtschaft abhängig sind und somit bei Dürre als Erste unter Hunger leiden. Außerdem haben sie oft nicht das Wissen und die Möglichkeiten, sich vor anstehenden Extremwetterereignissen in Sicherheit zu bringen. Dies trifft ebenso auf vulnerable und marginalisierte Gruppen wie Frauen, BIPoC, behinderte Menschen und LGBTIQ* (lesbische, schwule, bi-, trans- und intersexuelle, queere Menschen) zu, die sowieso tendenziell schon mehr von den Folgen der Klimakrise betroffen sind. Dadurch, dass sie ein erhöhtes Armutsrisiko haben, sind sie mehrfach benachteiligt. In der Klimakrise zeigt sich: Wir leben alle in einer Welt und tun es doch nicht.

Die Antwort auf die Klimakrise – wer sitzt mit am Tisch?

Hinzu kommt noch, dass gerade diejenigen, die historisch wenig bis gar nicht zur Klimakrise beigetragen haben, aber am meisten von ihr betroffen sind, wenig bis gar keinen politischen Einfluss bei der Antwort auf diese Krise haben. Das gilt für Länder des globalen Südens, die aufgrund ihrer historisch bedingten wirtschaftlichen Unterlegenheit auch bei internationalen (Klima-)Verhandlungen oft weniger Gewicht haben. Das gilt für rassifizierte Menschen, die in der Klimabewegung unterrepräsentiert sind und weniger öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Das gilt für Indigene, die in ihren Heimatländern bei ihrem Kampf für eine intakte Natur Gewalt und Tod fürchten müssen. Das gilt für zukünftige Generationen, die noch zu jung sind, um am politischen Willensbildungsprozess teilzunehmen, oder noch gar nicht geboren sind. Es besteht also die reale Gefahr, dass die aktuellen Antworten auf die Klimakrise nicht ausreichen und (wieder) so ausgestaltet sind, dass diejenigen, die jetzt schon am meisten Macht haben, weiterhin am meisten davon profitieren. Und wir schaden nicht nur uns als Menschen – wir entziehen auch vielen anderen Lebewesen ihre Lebensgrundlage indem wir natürliche Lebensräume. verändern und zerstören Mit Blick auf die Historie der Menschheit stellt sich die Frage, woher (einige) Menschen das Recht nehmen, ihre eigenen Interessen über die anderer – in diesem Fall ihrer natürlichen Mitwelt – zu stellen. Wenn unsere Handlungen massiven Einfluss auf das (Über-)Leben von Pflanzen, Tieren und Ökosystemen haben, müssen wir deren Rechte nicht (besser) berücksichtigen?

Gerechtigkeit umsetzen – Klimakrise lösen?

Viele unserer heutigen Probleme sind also unter anderem daraus entstanden, dass einige Menschen sich selbst als überlegen gegenüber anderen Menschen und der Natur angesehen haben und daraus ein Recht zur Unterdrückung und Ausbeutung abgeleitet haben. Nur so konnten Kolonialismus und Imperialismus sowie die kapitalistische Ausbeutung unserer Natur entstehen. Die Folgen sehen wir heute unter anderem in den unterschiedlichen Möglichkeiten von Menschen und Staaten, mit der Klimakrise umzugehen und ihren unterschiedlichen Möglichkeiten, sich bei der Lösungsfindung Gehör zu verschaffen.

Gleichzeitig leben wir in einer Welt, in der die Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 75 Jahre her ist. Ihr erster Artikel besagt, dass alle Menschen „frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ sind. Übersetzt fordert sie also die Gleichheit an Rechten und somit, dass wir so weit wie möglich Gerechtigkeit zwischen den Menschen herstellen. Darauf haben wir uns als Weltgemeinschaft geeinigt. Es geht also darum, dass Verursacher:innen Verantwortung für ihr eigenes Handeln und das ihrer Vorfahren übernehmen. Gleichzeitig muss „Chancengleichheit“ bei der Anpassung an Klimawandelfolgen hergestellt werden. Und nicht zuletzt dürfen wir unsere historischen Fehler nicht wiederholen. Wir müssen denjenigen die Möglichkeiten zur gleichberechtigten Mitbestimmung geben, die sich bislang wenig einbringen konnten und gleichzeitig am stärksten betroffen sind. Nur so finden wir einen gemeinsamen Weg zur Klimagerechtigkeit.

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