Welt wohin? – Reise in eine bessere Zukunft
Während es bis vor Kurzem noch so schien, als wären viele Menschen endlich aufgewacht und hätten die Dringlichkeit der Bekämpfung der Klimakrise erkannt, hat die aktuelle Krise, die durch die weltweite Corona-Pandemie ausgelöst wurde, zwischenzeitlich gefühlt fast jedes andere Thema von der öffentlichen und politischen Agenda verdrängt. Die mediale Aufmerksamkeit drehte und dreht sich fast ausschließlich um Corona, der Alltag der meisten Menschen wird durch die Corona-Krise und die damit verbundenen Maßnahmen bestimmt und alle politische Energie ist auf die Eindämmung dieser Krise ausgerichtet. Öffentliche Proteste wie z.B. die der Fridays-for-Future können nicht mehr stattfinden bzw. werden in den digitalen Raum verlegt und verlieren dadurch einen erheblichen Grad an Sichtbarkeit. Was also bis vor Kurzem für die Umwelt- und Klimaschutzbewegung zumindest nach einer positiven Tendenz aussah – immerhin beschäftigte sich der Rest der Gesellschaft nun endlich mit dem Thema – wurde fast vollkommen durch die Corona-Pandemie verdrängt.
Dabei ist entschlossenes Handeln in der Klimakrise nicht plötzlich weniger dringlich geworden. Im Gegenteil, wenn wir jetzt nicht handeln, wird ein massiver Anstieg der Erderwärmung nicht mehr aufhaltbar sein und entsprechende, teils irreversible Folgen für Mensch und Natur mit sich ziehen.
Gleichzeitig bringt die Corona-Krise viele Gewissheiten ins Wanken und Regierungen überall auf der Welt reagierten mit noch vor Kurzem unvorstellbaren Maßnahmen auf diese Krise. Dies geschah mit einer ungeahnten Schnelligkeit und (angemessenen) Heftigkeit angesichts der Gefahr überlasteter bzw. kollabierender Gesundheitssysteme und dem damit einhergehenden Risiko, dass viele Menschen schwer erkranken oder sogar sterben könnten.
Diese politische Entschlossenheit, einige (kurzfristige) positive Umwelteffekte der Corona-Krise und die gesellschaftliche Offenheit, neue Wege zu gehen, lassen sich möglicherweise auf die Klimakrise übertragen und für deren Bekämpfung nutzbar machen. Andererseits birgt die Corona-Krise eben auch das Risiko, dass Klimaschutz nicht (mehr) entschieden angegangen wird und Klimaschutzmaßnahmen teilweise sogar rückgängig gemacht werden.
Es stellen sich also die Fragen: Geht durch die Corona-Krise wertvolle Zeit im Kampf gegen die Klimakrise verloren? Oder bietet die aktuelle Situation eventuell auch Chancen für die Bekämpfung des Klimawandels? Stellt sie vielleicht sogar den Ansatzpunkt für die schon lange notwendige sozial- ökologische Transformation unseres Gesellschafts- bzw. Wirtschaftssystems dar? Und wenn das der Fall ist, wie kann dies genutzt werden und was ist jetzt notwendig, um die gewünschten Veränderungen voranzutreiben?
Corona- und Klimakrise – zwei separate Brandherde?
Als Grundlage für ein effektives Handeln im Sinne des Klimaschutzes angesichts der Corona-Krise ist es wichtig die Zusammenhänge und Unterschiede zwischen den beiden Krisen zu verstehen.
Einerseits gibt es offensichtliche Parallelen:
- beide Krisen sind globale Krisen;
- sie kosten Menschenleben und verursachen Leid;
- Die Auswirkungen beider Krisen treffen benachteiligte soziale Gruppen sowie den globalen Süden härter als privilegierte Gruppen und den globalen Norden;
- bei beiden ist lediglich eine Eindämmung möglich, nicht aber sie komplett zu verhindern;
- beide machen ein entschlossenes Handeln und weitreichende Maßnahmen zur Bekämpfung notwendig.
- Zudem treten in beiden Krisen vermehrt Verschwörungstheoretiker*innen und Wissenschaftsleugner*innen auf den Plan und es werden vielfach Fehlinformationen verbreitet.
Andererseits gibt es auch einige Unterschiede – die Ursache der Klimakrise ist menschengemacht und die Zusammenhänge zwischen menschlichem Handeln und Erderhitzung sowie deren Folgen sind hochkomplex. Somit sind Antworten auf die Klimakrise auch entsprechend komplexer und vielschichtiger. Die Klimakrise hat zudem einen ungleich längeren Zeithorizont und Menschen erfahren nicht die direkten Auswirkungen ihres Handelns und eventueller Verhaltensänderungen. Und: Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise müssen langfristiger und vor allem dauerhaft angelegt sein, während die Corona-Krise eine temporäre Krise darstellt und die „Rückkehr zur Normalität“ theoretisch möglich ist.
Es ist also wichtig zu fragen, wie Lehren aus der einen Krise, soweit sie jetzt schon gezogen werden können, auf die andere übertragbar sind und in welchen Fällen das nicht funktioniert oder sogar unerwünschte Effekte hervorruft.
In diesem Zusammenhang muss ebenfalls beleuchtet werden, dass die Klimakrise andere Krisen und Katastrophen wie die Corona-Pandemie indirekt begünstigt und wahrscheinlicher macht. Beispiele hierfür sind der Verlust an Biodiversität sowie das Schrumpfen von Lebensräumen von Wildtieren, was dazu führt, dass diese immer stärker mit Menschen in Kontakt kommen und so die Übertragung von Krankheiten wahrscheinlicher wird.
Corona als Brandbeschleuniger oder Feuerlöscher für die Klimakrise?
Regierungen überall auf der Welt haben mit weitreichenden Maßnahmen auf die Corona-Krise reagiert: Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen wurden und sind teilweise immer noch geschlossen, Ausgangsbeschränkungen verhängt, Geschäfte und Läden durften nicht mehr öffnen, Menschen sollen in größtmöglichem Ausmaß (physische) Kontakte mit ihren Mitmenschen vermeiden und sich weitestgehend in Isolation begeben. Der globale Güter- und Personenverkehr kam weitestgehend zum Erliegen, Grenzen wurden geschlossen, nationale Abschottung fand und findet immer noch statt.
Dies hat einerseits positive Effekte auf die Umwelt: durch Home-Office und Reisebeschränkungen gibt es weniger Verkehr und dadurch weniger Luft- und Wasserverschmutzung sowie einen geringeren Ausstoß von Treibhausgasen. Die Menschen kaufen weniger Konsumgüter, wodurch die Produktion derselbigen und die damit einhergehende Umweltverschmutzung zurückgeht. Die Menschen besinnen sich darauf Produkte lokal nachzufragen, die Wirtschaft vor Ort zu stützen und Dinge selbst herzustellen. Statt Fernreisen wird die Natur vor Ort genossen. Allerdings stellt sich auch die Frage, inwiefern manche dieser Effekte überhaupt wünschenswert sind und positiv bewertet werden sollten: einerseits ist eine zu positive Auslegung der Kriseneffekte zynisch, da sie auf menschliche Notlagen zurückzuführen sind und Menschen durch die Corona-Krise sogar sterben. Andererseits können viele dieser Effekte auch mit unerwünschten Auswirkungen einhergehen: Führen weniger Reisen und interkultureller Austausch sowie ein Rückgang im globalen Handel zu geringerer internationaler Solidarität und nationaler Abschottung? Begünstigen Home-Office und physische Distanzierung soziale Distanzierung und Individualisierung? Ergibt sich aus dem erzwungenen Konsumverzicht eine Umkehr nach der Corona-Krise mit exzessiven Nachholeffekten? Führt die Angst vor Krankheiten und Ansteckung in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf der Straße zu mehr motorisiertem Individualverkehr?
Außerdem zeigen sich teilweise im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit, teilweise aber auch ganz offen schon jetzt rückwärtsgewandte Tendenzen in Bezug auf Umweltstandards und bereits erreichten gesellschaftlichen Konsens in Bezug auf Klimaschutz: durch die Corona-Krise rückt die Bekämpfung der Klimakrise in weiten Teilen der Bevölkerung und bei einigen politischen Akteur*innen in den Hintergrund, Lobbyist*innen setzen sich für eine Lockerung von Umweltstandards angesichts der wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise ein. Wirtschaftliche Soforthilfe-Maßnahmen stützen nicht-zukunftsfähige Industrien und umweltschädliche Geschäftsmodelle.
Es ist somit notwendig zu diskutieren, inwiefern sich durch die Corona-Krise geschaffene positive Tendenzen für den Klimaschutz verstetigen oder sogar ausbauen lassen. Gleichzeitig muss debattiert werden, wie damit verbundene mögliche negative gesellschaftliche Auswirkungen vermieden werden können. Und zudem ist es aus Sicht des Umwelt- und Klimaschutzes wichtig, rückwärtsgewandte Tendenzen, die sich in der Corona-Krise zeigen, zu verhindern.
Unsere Gesellschaft nach Corona – Phönix aus der Asche oder „Business as usual“?
Die Corona-Krise beherrscht Politik und öffentlichen Diskurs und bestimmt momentan unser Leben. Sie deckt Defizite unseres aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems schonungslos auf – Wachstumsstreben und Gewinnorientierung auf Kosten der Umwelt und des Wohlergehens vieler Menschen, Unterbezahlung und mangelnde Wertschätzung für gesellschaftlich wichtige Berufsgruppen und Aufgaben wie entlohnte und nicht finanziell entlohnte Care-Arbeit, Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und Abhängigkeit von globalen Lieferketten etc.
Gleichzeitig zeigt sich gesellschaftlich Solidarität und Kreativität im Umgang mit den Krisenfolgen und die Natur „atmet auf“. Es scheint als böte dieser gesamtgesellschaftliche Ausnahmezustand einen „Raum der Möglichkeiten“:
- Dadurch, dass die Menschheit in vielen Bereichen zum „Anhalten“ gezwungen wird und aus ihrem Alltagstrott herausgeworfen wird, bietet sich die Chance gesellschaftliche Prioritäten und Werte neu zu ordnen: Es zeigt sich teils ungeahnte Solidarität, vor allem der jüngeren Generation gegenüber der älteren und anderen Risikogruppen, und es geschieht gewissermaßen ein „Zurechtrücken“ von gesellschaftlichen Werten, indem der Ausnahmezustand und die (erzwungene) Beschränkung auf das Wesentliche die Wichtigkeit von Gesundheit und Gemeinschaft ins Bewusstsein ruft und durch erzwungene Entschleunigung Raum für Resonanz-schaffende Tätigkeiten bietet.
- Dadurch, dass sich die Wirtschaft im Ausnahmezustand befindet, scheint eine Neuorientierung wirtschaftlicher Strukturen auf das Gemeinwohl möglich: Ökonomische Bildung muss wegkommen von der Idealisierung des Marktes und des Individualismus. Planetare Grenzen und Menschenrechte müssen die Leitplanken wirtschaftlichen Handelns werden, globale Abhängigkeiten müssen in sinnvolle Bahnen gelenkt werden, global agierende Unternehmen müssen sich wieder in gesellschaftliche Systeme und deren Regeln einfügen oder entsprechend beschnitten werden, im weltweiten Handel muss Augenhöhe zwischen dem globalen Süden und Norden hergestellt werden.
- Dadurch, dass das Virus nicht durch die „unsichtbare Hand des Marktes“ gebändigt werden kann, etabliert sich wieder das Primat der Politik und eine wissenschaftliche Fundierung politischen Handelns gewinnt oberste Priorität im Angesicht einer neuartigen, „natürlichen“ Bedrohungslage: Der Trend zur Ökonomisierung weiter Teile der Gesellschaft scheint an Zugkraft zu verlieren und in Frage gestellt zu werden und es wird deutlich, dass mutiges politisches Handeln sowie eine „Politik des Erklärens“ im Angesicht von Krisen von den Bürger*innen gefordert und belohnt statt bestraft wird.
- Dadurch, dass das Virus keinen Halt vor nationalen Grenzen macht, sollten internationale Kooperationen und Solidarität überdacht und erneuert werden sowie Globalisierung und internationale Abhängigkeiten zukünftig in sinnvolle (im sozialen und ökologischen Sinne) Bahnen gelenkt werden.
Es darf dabei aber nicht übersehen werden, dass eine Neuorientierung für weite Gesellschaftsteile im Angesicht ihrer aktuellen Lage nicht unbedingt naheliegend wirken muss, sondern im Gegenteil eine Rückkehr zur „Normalität“ wünschenswert erscheinen dürfte. Dies trifft auf Familien mit kleinen Kindern und insbesondere Alleinerziehende zu, die nun gleichzeitig Arbeit und Kinderbetreuung leisten sollen, auf Menschen in systemrelevanten Berufen, die eher weniger als mehr Freizeit durch die Corona-Krise haben und zusätzlich noch einer erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind, auf Wohnungslose, geflüchtete Menschen, die in riesigen Lagern auf engem Raum aushaaren müssen, oder Personen, die durch die Krise in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind etc. All diese Personengruppen müssen beim Nachdenken über einen strukturellen Wandel unseres Gesellschaftssystems mitgedacht und vor allem mitgenommen werden. Dabei kommen Ansatzpunkte der sozial-ökologischen Transformation wie die Umschulung von „Krisen-Arbeitslosen“ für zukunftsfähige Branchen, eine Neuausrichtung von „Work-Life-Balance“ insbesondere für Familien durch die 30-Stunden Woche, Geschlechtergerechtigkeit sowie die Re-Priorisierung und Investitionen in öffentliche Daseinsvorsorge und Bildung in Frage. Zudem wäre eine Finanzierung solcher Maßnahmen durch Reichen-Besteuerung anzudenken. Die gesellschaftliche Transformation muss für ALLE in einer besseren Zukunft münden und muss durch alle Bevölkerungsschichten mitgetragen werden, sonst wird der Wandel nicht durch- und umsetzbar sein. Welche Maßnahmen dazu am geeignetsten sind, ist in einem gesellschaftlichen Diskurs zu erarbeiten.
Zudem sind auch gegenläufige Tendenzen zu den oben genannten sichtbar: Egoismus erkennbar an Hamsterkäufen und Corona-Partys, die massive Einschränkung von Freiheitsrechten zur Ansteckungseindämmung, der mediale und öffentliche Fokus auf den globalen Norden, entstehendes Misstrauen gegenüber Fremden und das Vermeiden (unbekannter) sozialer Kontakte, individuelle und gesellschaftliche Abschottung, die Tendenz hin zu weniger Datenschutz und mehr Überwachung, ein möglicher Rückzug ins Private, teilweise sogar autoritäre Tendenzen und der Wunsch nach einem „starken Mann“, der hart durchgreift. All diese Entwicklungen stehen entgegen einer sozial-ökologischen Transformation und müssen entsprechend identifiziert und mit positiven Gegenentwürfen begegnet werden.
Zudem ist es wichtig politische Maßnahmen, die jetzt zur langfristigen Eindämmung der durch die Corona-Pandemie hervorgerufenen Kriseneffekte angestoßen werden, wie zum Beispiel Konjunkturprogramme, in einer für die gesellschaftliche Transformation sinnvollen Art und Weise auszugestalten. Das bedeutet beispielsweise nur zukunftsfähige Branchen sowie den Um- und Abbau klimaschädlicher Industrien zu fördern und nicht, wie schon gefordert, fossile Technologien wie Verbrennungsmotoren durch Kaufprämien weiter zu stützen und am Leben zu erhalten. Die aktuell stattfindende (und angemessene) staatliche Neuverschuldung, darf zusätzlich zur finanziellen Belastung zukünftiger Generationen nicht auch noch zur Zerstörung der Lebensgrundlagen dieser beitragen, sondern muss diese schädlichen Prozesse aufhalten.
Es ist in dieser Situation somit wichtig die aktuelle Corona-Krise und die damit verbundene Offenheit für einen gesellschaftlichen Aufbruch zu nutzen, alle Teile der Gesellschaft dabei mitzunehmen und gegenläufige Tendenzen zu unterbinden. Das Momentum für einen Wandel muss auch nach Beendigung der Corona-Krise aufrechterhalten werden. Wir sollten nicht zulassen, dass nach der Corona-Krise wieder alles zurück in seinen „gewohnten Gang“ fällt und die Corona-Krise im Rückblick nur Eine von Vielen (9/11, Terrorismus, Sars, Finanzmarktkrise, Ebola, etc.) und damit ungenutzt bleibt. Dazu muss ein überzeugendes Narrativ von einer sozial-ökologischen Transformation hin zu einer CO2-neutralen, gerechten und solidarischen Weltgesellschaft als Weg aus der Krise entwickelt werden und verbreitet werden.
Der Münchner Klimaherbst 2020 wird sich unter dem Titel „Welt wohin? – Reise in eine bessere Zukunft“ diesen Fragen und Themen widmen, damit wir gemeinsam gestärkt aus der Corona-Krise herausgehen und vielleicht ja im Rückblick sagen können: Corona war der Wendepunkt auf dem Weg in eine sozial gerechte und ökologische Zukunft.